Die Protagonisten

Daniel-Jan Girl

Initiator – Konzert im Denkmal

Mit dem Holocaust Denkmal im Herzen Berlins gedenkt Deutschland dem schlimmsten Menschheitsverbrechen, dem industriell organisieren Massenmord an den europäischen Juden. Ein klares, sichtbares Zeichen der Erinnerung, Verarbeitung und des Gedenkens. Die Herausforderung der Zukunft aber liegt in der des Denkmals, in den Köpfen, insbesondere auch bei den nächsten Generationen. Denn je weiter ein Ereignis zurückliegt, desto weniger die emotionale Bindung und somit Erinnerung.

Heute, wo das Denkmal steht und es in unseren Alltag übergegangen ist, darf das mühevolle Weitergeben der Verantwortung unserer Gesellschaft an die nachfolgenden Generationen nicht aufhören. Die Herausforderung stellt sich in einer Zeit der beschleunigten Beschleunigung, im Zeitalter der digitalen Kommunikation. 

Das Konzert ist ein Beispiel, wie wir zukünftig zeitgemäß Erinnerung transportieren und wachhalten können.

Wir brauchen eine emotionale Erinnerungskultur in Zeiten der Digitalisierung.

Daniel-Jan Girl

Lea Rosh

Initiatorin des Holocaust Denkmals

Wir, der Historiker Eberhard Jäckel und ich, hatten für das deutsche Fernsehen eine 6-stündige Dokumentation gedreht: „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ – Deportation und Ermordung der Juden – Kollaboration und Verweigerung in Europa. Der Film ist 1989 in allen ARD-Programmen gesendet worden. Das Buch mit dem gleichnamigen Titel ist 1991 erschienen und hat sieben Auflagen erlebt.

Warum haben Jäckel und ich im gleichen Jahr das Denkmal für die ermordeten Juden Europas initiiert? Wir wollten es aus drei Gründen errichtet haben: 1. Wir wollten die Welt AN DIE TAT erinnern. 2. Wir wollten die Ermordeten EHREN. 3. Wir wollten ihnen IHRE NAMEN ZURÜCKGEBEN. Es hat lange gebraucht, bis wir das Denkmal einweihen konnten. Vom ersten Aufruf bis zur Einweihung hatte es immerhin 17 Jahre gedauert. Aber wir haben es letztlich 2005 einweihen können. Der Kampf darum war heftig, aber er war erfolgreich. Zentral, mitten in der deutschen Hauptstadt zeugt nun dieses Denkmal davon, dass im Land der Täter die Opfer geehrt werden, dass diese schandbare Tat unüberseh- bar dokumentiert wird.

Harald Weiss

Komponist — Vor dem Verstummen

Es gibt Anlässe, die den Menschen zum Verstummen bringen, weil weder Worte noch Musik das Ausmaß an Betroffenheit erfassen. Wenn man sich zwischen den Stelen des Denkmals für die ermordeten Juden Euro- pas befindet, ist diese Beklommenheit des Unfassbaren unmittelbar zu spüren. Ich stelle mir vor, dass die Kom- position bereits begonnen hat, bevor wir sie physika- lisch wahrnehmen und auch noch weiterklingen wird, wenn wir sie mit unserem Ohr nicht mehr vernehmen. Es sind eher Klänge und Schwingungen, die sich wie durch ein Brennglas ins Bewusstsein drängen, sich dort eine Zeit aufhalten und unmerklich wieder verebben, aber stets vorhanden sein werden, vielleicht auch nur in unserer Vorstellung.

Dieses KLANGGEWEBE breitet sich vom Zentrum des Denkmals aus – dort, wo die Stelen am höchsten bzw. tiefsten sind. Wie in konzentrischen Kreisen befin- den sich die Musiker von dieser Position aus in einem Umkreis von circa 50 Metern. Während der Komposi- tion, die eine Länge von etwa 17 Minuten hat, wandelt eine Mezzosopranistin für ein paar Minuten zwischen den Stelen umher. Ihr dunkler, elegischer Gesang wird vorübergehend wie eine Ahnung hörbar, wie eine Ermahnung vor dem Verstummen.

Lothar Zagrosek

Dirigent

Mir ging Goebbels Beschreibung dessen, was deut- sche Musik zu sein hat, durch den Kopf. „Die deutsche Kunst der nächsten Jahrzehnte wird heroisch, wird stählern-romantisch, wird sentimentalitätslos sachlich, wird national mit großem Pathos, sie wird gemeinsam verpflichtend und bindend sein – oder sie wird nicht sein“.

Ich stand auf dem weiten Platz mitten in diesem Meer von steinernen Grabstelen. Die Musik, die wir spielten, hatte nichts, in keinem Detail mit Goebbels Beschrei- bung zu tun. Kein Schwelgen in Les Préludes-haftschwülstiger Trauermusik. Das Werk von Harald Weiss gab der Einsamkeit, der Hilflosigkeit, der Todesangst der Opfer eine Stimme. Eher still und leise.

Das entfernte Brausen der Stadt verstärkte die Stille dieses Ortes. Es war schwer, einen Anfang zu finden. Die Ermahnung an das Schicksal der millionenfach Getöteten verdrängte alle anderen Gedanken und Wahrnehmungen. Sie lag bleischwer über diesem Ort. Die schreckliche Apokalypse, der diese Opfer ausgesetzt waren, fühlte ich plötzlich ganz nahe. Adornos rigoro- ser Ausspruch von der Unmöglichkeit nach Auschwitz noch Gedichte schreiben zu können, hatte hier eine beklemmende Realität.

Jürgen Bruns, Kammersymphonie Berlin

Musikalischer Leiter

Das Mahnmal ist ein bewegender und lebendi- ger Ort, der zu einem Nachdenken und Nachsinnen einlädt. Eine der vielen Facetten dieses Ortes ist die Musik „Vor dem Verstummen“. Stille muss nicht immer ohne Laut sein, Stille wird auch durch Musik erlebbar gemacht. Ein „Zu sich kommen“, eine Reflexion oder auch die Konzentration auf das Wesentliche.

So wie sich beim Wandeln durch die Stelen die Gedan- ken verändern und schweifen, erklingt an jedem Ort im Stelenfeld die Musik anders, sich verändernd.

Für die Kammersymphonie Berlin und mich persön- lich war und ist es ein tiefes Erlebnis, Teil dieses Ortes zu sein. Heute, einige Jahre später und in einer Zeit, die einen Kampf wider das Vergessen als noch wichti- ger zeigt, empfinden wir diese Arbeit als eine unserer bedeutendsten.